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November 9, 2020

Jarvis als eine Vision der Produktentwicklung

Generative Engineering wird die Produktentwicklung grundlegend verändern

Alltag für den Ingenieur: Ein technisches Bauteil, z.B. eine Gitterrohrkonstruktion, muss in einem definierten Bauraum möglichst optimal gestaltet werden. Der Entwickler muss die Mechanik optimieren, ein minimales Gewicht erreichen, gleichzeitig möglichst kostengünstige Halbzeuge einsetzen und die Länge der Schweißnähte optimieren, um die Herstellungskosten zu senken. Doch wie erreicht er dieses ehrgeizige Ziel in möglichst kurzer Zeit?

Im klassischen Entwicklungsprozess nähert sich der Ingenieur der Lösung dieses Problems Schritt für Schritt. Er beginnt mit einem Konzeptentwurf, entwirft ihn und bewertet ihn. Dann iteriert er manuell zwischen den Entwicklungsphasen.

Dieses Verfahren ist meist durch manuelle Datenkonvertierung zwischen verschiedenen Softwaretools, Warten auf Simulationsergebnisse aus anderen Abteilungen und manuelle CAD-Konstruktion gekennzeichnet. Je weiter man sich im Entwicklungsprozess zurückbewegt, desto schwieriger wird es, grundlegende Entscheidungen wie das verwendete Herstellungsverfahren zu ändern. Gleichzeitig ist es schwierig, die endgültigen Kosten in frühen Entwicklungsstadien abzuschätzen und so von Anfang an die richtigen Weichen zu stellen. Nicht zuletzt ist dieser Prozess durch die Koordination der vielen Schnittstellen zwischen Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen gekennzeichnet. Entscheidungen müssen oft auf Basis von „educated guess“ getroffen werden, weil die notwendigen Fakten (noch) nicht vorliegen.

Einst waren die Ingenieure die Schöpfer der großen Lösungen von morgen. Aber in den heutigen Prozessen verbringen wir einen großen Teil unserer Arbeitszeit mit wiederkehrenden Alltagsaufgaben und der Koordination der Schnittstellen, und so ist es schwierig, wirklich große Innovationen hervorzubringen, weil uns einfach die Zeit fehlt.

Wenn wir Ingenieure uns etwas wünschen könnten...

Für alle Marvel-Fans ist die von Tony Stark in Iron Man entwickelte künstliche Intelligenz J.A.R.V.I.S. sicherlich eine Software, mit der wir gerne gemeinsam neue Produkte entwickeln würden. Jarvis unterstützt Tony bei der Entwicklung neuer technischer Lösungen, liefert ihm in Sekundenschnelle Antworten über die Leistungsfähigkeit von Designalternativen und optimiert bestehende Systeme vollautomatisch.

Screenshot aus dem Film „Iron Man“ (Copyright: Marvel Studios)

Von dieser Vision sind wir zwar noch weit entfernt, aber die ersten Schritte in diese Richtung werden bereits unternommen. In Zukunft werden Ingenieure in der Lage sein, mit Hilfe von Computern automatisch optimale Produkte zu entwickeln - dieser neue Ansatz der Produktentwicklung wird generative Technik genannt. Die Methode nutzt intelligente Algorithmen und automatisiert wiederkehrende Prozesse, die Entwickler bisher manuell durchgeführt haben. Mit dieser Technologie lässt sich die Konstruktion von Bauteilen automatisieren. Das geht zum einen viel schneller und manchmal finden die Algorithmen sogar bessere Lösungen als wir Menschen.

Intelligente Algorithmen liefern Lösungen ohne menschliches Zutun

Beim generativen Engineering kann der Ingenieur komplexe Probleme in Form von mehreren eindeutigen Entwurfsregeln, Grenz- und Zielwerten definieren und in Algorithmen speichern: Im eingangs erwähnten Beispiel sollen diese Algorithmen die optimale Geometrie finden, die den geforderten Belastungen gerade noch standhält und gleichzeitig ein möglichst kostengünstiges Halbzeug mit möglichst wenigen und kurzen Schweißnähten verbindet und damit möglichst kostengünstig realisiert werden kann.

Sein mit Algorithmen modelliertes Regelwerk, wie das Bauteil zu erstellen ist, bezeichnen wir als „technische DNA“. Sie enthält, ähnlich wie die Natur, alle Regeln, nach denen das Bauteil „wachsen“ kann.Die DNA stellt also eine Logik dar, die eine Anpassung an veränderte Randbedingungen ermöglicht - so wie es bei Organismen in der Natur möglich ist.

Damit alle notwendigen Faktoren, die die Geometrie der Konstruktion beeinflussen, berücksichtigt werden können, ist es notwendig, dass alle Engineering-Werkzeuge in diese DNA integriert und vernetzt werden. Dazu gehören nicht nur die generativen Werkzeuge (z.B. CAD oder auch Generative Design Lösungen), sondern auch die auswertenden Werkzeuge (z.B. FE-Simulationen, Kostenauswertungen und Fertigungssimulation).

Die Speicherung des Regelwerks in einer technischen DNA ermöglicht nicht nur die Sicherung von Expertenwissen, sondern auch die vollständige Automatisierung des Entwurfsprozesses, wodurch dieser erheblich beschleunigt wird. Die technische DNA wird von einem Experten erstellt. Er beschafft sich im Vorfeld alle projektrelevanten Daten und digitalisiert sie in Form eines kohärenten Entwicklungsprozesses. Mit anderen Worten: Er erstellt einfach das Regelwerk in Form der DNA, den „Weg zum Produkt“. Die eigentliche Gestaltung und Anpassung des Bauteils an die Randbedingungen überlässt er dann der intelligenten Software, die das Bauteil aus der DNA „wachsen“ lassen kann.

Eine gemeinsame Sprache für Ingenieure

Voraussetzung für die Erstellung einer technischen DNA ist die Vernetzung aller Werkzeuge und Arbeitsschritte einer Produktentwicklung, das sogenannte „Connected Engineering“. Nur durch die schnittstellenfreie Verknüpfung aller Softwarewerkzeuge und Prozessschritte können manuelle Import- und Exportschritte vermieden werden, die eine automatische Generierung der Lösung verhindern würden. Alle Abteilungen müssen in der Lage sein, ihr Expertenwissen in DNA zu digitalisieren und in einer für die anderen Disziplinen lesbaren Form zu speichern. Um dies technisch zu ermöglichen, ist ein universelles Datenmodell notwendig - eine einheitliche „Sprache“ für Management, Entwicklungsingenieure, Einkauf und Produktion.

Was passiert, wenn sich die Randbedingungen ändern sollten?

Bislang lief es in den Entwicklungsabteilungen meist so: Ändern sich die äußeren Bedingungen eines Bauteils, muss der Ingenieur große Teile des Entwicklungsprozesses von vorne beginnen. Mit generativem Engineering geht alles viel schneller. In der technischen DNA sind alle Entwicklungsschritte bereits vorhanden und miteinander verknüpft, so dass ein Computer die DNA nutzen kann, um automatisch das an die neuen Bedingungen angepasste Design zu generieren. So kann der Ingenieur auch auf späte Änderungen schnell reagieren oder ganze Familien von Bauteilen automatisch erstellen lassen. Er muss nur noch Parameter im Algorithmus ändern.

In Zukunft wird der Entwickler also nicht mehr jedes Bauteil einzeln entwerfen. Stattdessen wird er eine DNA definieren, die den Entwicklungsprozess kodiert. Diese DNA „pflanzt“ er dann in verschiedene Fahrzeuge und lässt die Algorithmen das optimale Bauteil generieren. Auf diese Weise entsteht das optimal an seine Umgebung angepasste Bauteil, es „wächst“ nach der vorgegebenen DNA.

Was wird die Zukunft bringen?

Generative Engineering legt nun den Grundstein für die digitale Vernetzung von Expertenwissen, Regelwerken zu Bauweisen, Prozessschritten und Einflussgrößen sowie allen notwendigen Simulationswerkzeugen in einem maschinenlesbaren Format. Im Bereich der additiven Fertigung ist die direkte Anbindung und Steuerung der Produktion bereits heute Realität - ein großer Schritt in Richtung Industrie 4.0.

Um unserer Jarvis-Vision einen Schritt näher zu kommen, wäre der nächste logische Schritt, diese umfassenden Daten einer künstlichen Intelligenz als Lernmaterial zur Verfügung zu stellen. Das werden spannende Zeiten sein...

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